Neben der Spur? Yoga in Krisensituationen
Ein Reisebegleiter aus der Reihe „Unterwegs nach Hause“
Es gibt im Leben immer wieder Gegebenheiten, die uns dazu bringen, unsere gewohnte Spur verlassen zu müssen. Je nachdem, wie vertraut uns der Umgang mit solch einem mehr oder weniger abrupten Spurwechsel ist und wie tiefgreifend die Auswirkungen sind, können sich dabei unsere Lebensaufgaben klar ins Sichtfeld rücken oder sich zunehmend bis gänzlich diesem entziehen.
Im Falle zunehmender Vernebelung, nicht selten kombiniert mit brodelnder Unruhe, geballten Handlungsbedürfnissen oder Trübsinnigkeiten bis hin zum Handlungsstillstand, ist es ratsam, für einen Moment innezuhalten.
Ganz sicher nicht, um den achtgliedrigen Yogapfad in voller Länge zu zelebrieren. In diesen Zeiten gilt es zu komprimieren, sich auf das Wesentlichste zu beschränken und zu schauen, ob die grobe Richtung noch stimmt und nicht alles aus dem Blickfeld rutscht. Und es gilt, sich darauf zu besinnen, was schon einmal geholfen hat oder helfen könnte, um vom Chaos zur Struktur, um vom Dunklen ins Licht (zurück) zu finden.
Wir erinnern uns: Yoga ist der Weg zur Konzentration. Zur Konzentration auf das, worauf es ankommt. Auf das, was der Klarheit, Aufrichtigkeit und Gewaltarmut dient. Damit das gelingt, reduzieren wir und konzentrieren uns auf eine Frage, eine Gegebenheit, eine Handlung, ein Objekt. Und dieses eine Objekt dürfen wir auch höchst selbst sein. Denn dieses Objekt gilt es auch weiterhin in die richtige Richtung laufen zu lassen. Mit wachem Geist und offenen Herzen. Daher nun eine Übungsabfolge für Geist und Körper.
Eine Annäherung an die Essenz des Yoga
Bitte lies dir zunächst die vier Übungen aufmerksam durch. Dann suche dir einen ruhigen Platz. In naher oder ferner Umgebung. Innerhalb deiner vertrauten Wände oder in der freien Natur. Du kannst sitzen oder stehen, dich anlehnen oder auch hinlegen. Wähle den Ort und deine Körperhaltung mit Bedacht. Du solltest dich dabei gut wahrnehmen und mit dir ins Gespräch kommen können. Auch kannst du deine Haltung beim Üben verändern. Und nein, du brauchst dafür keine Yogamatte. Auch musst du dabei deinen Körper nicht in die Aufrichtung zwingen. Nur aufrecht nach innen schauen. Das schon.
Versuche die Fragen der nachfolgenden Übungen mit nur einem Satz oder nur einem Wort zu beantworten. Dem richtigen Satz, dem richtigen Wort! Aber was ist richtig, was falsch? Vielleicht so: Stellt sich bei deiner Antwort ein Gefühl von Stimmigkeit (mehr dazu siehe HIER) ein, meist begleitet von Freude oder auch Trauer über die Erkenntnis, wirst du der richtigen Antwort sehr nah sein. Bis zu dieser Nähe solltest du suchen.
1. Die Erkundung
Nimm (zur Abwechslung einmal wieder) dich wahr!
a) Was erzählt dir dein Körper; mit seiner Atmung, seinem Herzschlag, seinen Spannungszuständen?
b) Welche Gedanken, welche Emotionen zeigen sich dir?
c) Gibt es Übereinstimmungen zwischen dem, was dein Körper und dem, was dein Geist erzählt?
2. Die Suche nach der Richtung
Erspüre (zur Abwechslung einmal wieder):
a) Was braucht dein Körper?
b) Was braucht dein Geist?
c) Gibt es Übereinstimmungen zwischen dem, was dein Körper und dem, was dein Geist braucht?
3. Die Suche nach der Handhabung
Ergründe:
a) Was kannst du mit deinem jetzigen Wissen, deinen jetzigen Fähigkeiten tun, um deinem Körper und deinem Geist das zu geben, was sie brauchen?
b) Welche dir vertraute (Yoga)Übung könnte dafür dienlich sein?
c) Welche äußere und innere Haltung(sänderung) ist dafür notwendig?
4. Das Tun und das Vertrauen
Sei nun konsequent und übe dir zugewandt. Lass deinen Körper und deinen Geist genau das tun, was du soeben als Idee entwickelt hast. Und vertraue. Vertraue dir und deinem Eingebunden-Sein zwischen Himmel und Erde.
Drei Beispiele
seien genannt (du kannst sie auch überspringen):
Spürst du Enge in deinem Brustkorb? Ein Eingeschnürt-Sein bis in die Tiefe deines Herzens?
Entsteht ein Bedürfnis nach Weite und erhöhter Kraft?
So könntest du diesen Gegebenheiten mit tiefen vollständigen Atemzügen begegnen. Vor allem mit der Konzentration auf die Einatmung. Du könntest dies gleich tun, in der Haltung, in der du dich gerade befindest. Du kannst aber auch die Drehlagerung einnehmen und dich einatmend besonders auf die jeweils geöffnete Brustkorb- und Bauchraumhälfte konzentrieren. Auch dynamische, öffnende kreisende Bewegungen von der einen Haltung in die andere können dich dabei unterstützen. Erinnere dich an den Wechsel zwischen der Heldenhaltung, der Dreieckshaltung und der gestreckten Winkelhaltung – und betone dort die Einatmung, das Weiten und Wachsen.
Nimmst du dich als eine einzige große Unruhe wahr? Sind Körper und Geist kaum zu unterscheiden?
Bist du selbst ein einzig flirrendes Bündel auf der Suche nach Halt?
Dann versuche dich mit der Konzentration auf die verlängerte Ausatmung. Vielleicht sogar auf der Atempause nach der verlängerten Ausatmung (ohne dich dabei in Atemnot zu bringen). Du kannst diese Atemkonzentration verbinden mit einer dir vertrauten Balancehaltung. Das kann die Baumhalte sein oder auch die Waage. Und manchmal ist es einfacher, sich erst einmal mit all der inneren Unruhe in Bewegung zu setzen und diese dann immer langsamer werden zu lassen. Nutze dafür die dir vertrauten Abfolgen – und betone dabei die Ausatmung, das Loslassen und Erden.
Nimmst du Wut wahr?
Wut auf das große Ganze oder einzelne Menschen, die nicht das tun, was du für richtig erachtest?
Dann erinnere dich an die heilsame Kraft der Dankbarkeit und Güte. Dankbarkeit zu empfinden und gütig zu sein, ist eine Frage der Übung und der Herzensbildung. Und nicht an jeden Menschen werden diese Übungen herangetragen. Und: Lass uns immer wieder auch der Möglichkeit Raum geben, dass wir uns selbst irren. Denn wir können mit all unserem Wissen immer nur auf das zurückgreifen, was wir – mehr oder weniger nah – selbst erfahren haben.
Und nun beginne mit der ersten Übung.
Du möchtest eine Kurzfassung? Ich versuche es:
1. Wo stehst du?
2. Wohin zieht es dich?
3. Wie kommst du dorthin? Umwege seien gestattet, in Krisen oftmals unerlässlich.
4. Sei darum bemüht und vertraue!
Solltest du diese Übungsabfolge trotz deines Wollens nicht allein bewerkstelligen können, suche dir wohlwollende Unterstützung. Auch außerhalb deiner Hausgemeinschaft muss dies gestattet sein. Denn was nützt es der großen Gesellschaftsform, wenn die kleinste sich zwischen vier Wänden verrennt?
Eine persönliche Bitte an euch:
In unseren Kursen und Einzelstunden kann ich unmittelbar erleben, ob mein Übungsvorschlag eine gute Idee ist oder eben gerade nicht. Oder noch nicht. Oder niemals nicht. Und wenn ich es nicht in eurer Körpersprache bemerken konnte, so wart ihr mir doch größtenteils mit Wort und Tat dabei behilflich, (endlich) das zu erkennen, was erkannt werden sollte. Nur hier – über diese Plattform – fehlt mir diese, eure Rückmeldung.
Ich bitte euch somit von Herzen, mir ein Zeichen (via Mail) zu geben, ob meine Vorschläge für euch passend sind. Zumindest aber, wenn sie an euch vorbei gehen. Jedoch: Bitte vergesst dabei nicht, (wenigstens ein bisschen) in die Tiefe sollte der Yoga gehen. Und das, was sich zeigt, ist nicht immer das, was uns gefällt. Aber: Es hat das Potential zu gegebener Zeit dort aufzuräumen, wo aufgeräumt werden muss.
Schirin Zscharnack